Dieser Beitrag wurde zuerst auf der 9. Demo der Antihygienistischen Aktion in Karlsruhe vorgetragen.
Nachdem der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit Beschluss vom 06.10.2020 einem Eilantrag einer Bordellbetreiberin aus Karlsruhe stattgegeben hatte – dieser war, gestützt auf die seinerzeit geltende Corona-Verordnung der Betrieb der Prostitutionsstätte verboten worden – und das Verbot vorläufig außer Vollzug gesetzt worden war, nachdem derselbe VGH mit Beschluss vom 22.01.2021 das auf die seinerzeit geltende Corona-Verordnung gestützte Betriebsverbot für Hundefriseure dahingehend außer Vollzug gesetzt hatte, dass die Betreiber von Hundesalons ihre Dienstleistungen anbieten dürfen, wenn eine kontaktlose Übergabe der Hunde innerhalb fester Zeitfenster erfolgt und nachdem mit Beschluss des VGH vom 05.02.2021 die auf die seinerzeit geltende Corona-Verordnung gestützten nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in Baden-Württemberg aufgehoben hatte, hatte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Herr Winfried Kretschmann, Anfang März 2021 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt, die Ministerpräsidenten müssten sich (ich zitiere) „mit den Gerichten herumschlagen„.
Die Verwaltungsrichter hatten sich irritiert über die Äußerung gezeigt. Für mich ist das Anlass, über den Grundsatz der Gewaltenteilung zu sprechen.
Gewaltenteilung Kernstück jeder rechtsstaatlichen Verfassung
Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist Kernstück jeder rechtsstaatlichen Verfassung. Das Grundgesetz unterscheidet in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 drei Gewalten:
- Die Gesetzgebung,
- die vollziehende Gewalt und
- die Rechtsprechung.
Gewaltenverschränkungen werden vom BVerfG so lange als verfassungsgemäß anerkannt, wie keine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht erhält und der „Kernbereich” der verschiedenen Gewalten unangetastet bleibt. Die Gewaltenteilung dient der wechselseitigen Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Teilgewalten; sie soll die staatliche Machtausübung begrenzen und die Freiheit des Einzelnen sichern.
Die Aufteilung der Gewalten wird in vielen Hinsichten durch die organisatorischen Vorgaben der Verfassung konkretisiert. Die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind durch „besondere”, d.h. durch funktionell, organisatorisch und personell voneinander getrennte Organe auszuüben. Vor diesem Hintergrund kann die Gewaltenteilung als Verteilung von Zuständigkeiten verstanden werden Das bedeutet, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden organisatorisch getrennt sein müssen und die Unabhängigkeit eines Richters nicht durch seine Eingliederung in die Verwaltung in Frage gestellt werden darf.
„Vorbehalt des Gesetzes”
Aufgabe der Gesetzgebung ist es, die Rechtsverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger untereinander oder zum Staat zu regeln. Für belastende Hoheitsakte bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Der Grundsatz vom „Vorbehalt des Gesetzes” bestimmt, ob das Parlament, also ob die vom Volk gewählten Vertreter im Deutschen Bundestag oder Landtag hierfür selbst die gesetzliche Grundlage schaffen müssen oder ob z.B. eine Rechtsverordnung der Exekutive als Grundlage für belastende Hoheitsakte ausreicht. Das Parlament darf sich nicht selbst durch eine Blankoermächtigung an die Exekutive seiner Verantwortung für die Gesetzgebung entledigen und damit selbst entmachten. Nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts haben die vom Volk gewählten Vertreter die Pflicht, in „grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung alle „wesentlichen Entscheidungen” selbst zu treffen. Schließlich ergibt sich aus dem „Vorbehalt des Gesetzes”, wie genau das Parlament einen Bereich selbst ordnen und welche Regelungsdichte seine Gesetze also haben müssen. Es kommt entscheidend auf die Grundrechtsrelevanz an. Je nachhaltiger Grundrechte betroffen sind, desto präziser muss die gesetzliche Regelung sein.
Wenngleich anzuerkennen ist, dass das SARS-CoV2- Virus eine Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit der Bevölkerung darstellte und darstellt und einzuräumen ist, dass Maßnahmen zur Infektionsabwehr schnelles Handeln und ggf. ein adaptives normgeberisches Vorgehen erforderten und erfordern, entbindet dies nicht von der Pflicht, die Wesentlichkeitstheorie und den aus ihr folgenden Parlamentsvorbehalt – als Kernelement von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – auch in Krisenzeiten zu beachten.
Parlament statt Exekutive hätte Grundrechtseinschränkungen beschließen müssen
Darauf folgt, dass das Parlament die Regelungen mit denen die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger massiv eingeschränkt wurden, selbst hätte treffen müssen. Statt dessen wurde durch Rechtsverordnungen, nämlich durch Corona-Schutzverordnungen in die Glaubensfreiheit gem. Art. 4 GG durch Gottesdienstverbote, in die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG durch Aufführungs- und Veranstaltungsverbote, in die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG durch Verbote von Zusammenkünften und andere Formen der vereinsmäßigen Betätigungsfreiheit und vor allem in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG durch Öffnungsverbote für Geschäfte und Gastronomie sowie Betätigungsverbote für körpernahe Dienstleistungen eingegriffen.
Das Grundgesetz kennt keine Notstandsklauseln, die für den Fall eines Gesundheitsnotstands, etwa bei Pandemien, besondere Verordnungsbefugnisse für die Exekutive vorsehen oder Abweichungen von den Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren einschließlich der Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen an die Exekutive gestatten. Die Rechtslage unter dem Grundgesetz unterscheidet sich grundlegend von der Weimarer Verfassung. Dort konnte der Reichspräsident gemäß Artikel 48 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit die Grundrechte vorübergehend außer Kraft setzen. Im Grundgesetz ist das bewusst nicht so geregelt worden. In einer Situation, in der ein Land eine Notsituation zu bewältigen hat, entspricht es dem Wesen einer parlamentarischen Demokratie, wenn der parlamentarische Gesetzgeber – also die vom Volk gewählten Vertreter – selbst die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit ziehen.
Krisen sind nicht die Stunde der Exekutive!
So warnte der Deutsche Ethikrat in einer Ad hoc-Empfehlung bereits am 27.03.2020: „nicht in ein Denken in Kategorien des Ausnahmezustands zu verfallen“. Krisen seien nicht „die Stunde der Exekutive“; die aktuellen Entscheidungen dürften „nicht an einzelne Personen oder Institutionen delegiert“, sondern müssten „von den Organen getroffen werden, die hierfür durch das Volk mandatiert sind und dementsprechend auch in politischer Verantwortung“ stünden.
Im Zusammenhang mit der weltweiten Ausbreitung des SARS-CoV2- Virus auch in der Bundesrepublik waren auf der Grundlage von § 32 IfSG zahlreiche Corona-Verordnungen, also Rechtsverordnungen, erlassen worden, aufgrund derer, wie bereits geschildert, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger massiv eingeschränkt wurden. Die durch die Corona-Verordnungen ausgelösten Grundrechtseingriffe waren nicht das Ergebnis eines – an sich gebotenen – parlamentarischen Willensbildungs- oder Abwägungsprozesses, sondern stellten sich als die exekutive Umsetzung der Ergebnisse von Videoschaltkonferenzen zwischen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten durch die Landesregierungen dar. Die verfassungsmäßige offene Debatte wurde durch eine Runde von bestimmten Wissenschaftlern und Fachleuten, die nicht vom Volk gewählt wurden und die maßgeblich die Entscheidungen der Regierenden beeinflussten, ersetzt.
Im Zusammenhang mit den getroffenen Corona- Maßnahmen hatte auch der Deutsche Anwaltsverein in einer Pressemitteilung vom 23.10.2020 gefordert, zum demokratischen Gesetzgebungsprozess zurückzukehren und das Parlament entscheiden zu lassen.
Gesetzliche Ermächtigungen für Rechtsverordnungen müssen in Inhalt Zweck und Ausmaß bestimmt sein
Selbst wenn Rechtsverordnungen der Exekutive als Grundlage für belastende Hoheitsakte ausreichen, gibt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für den Erlass von Rechtsverordnungen vor, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden muss. Im Parlamentsgesetz selbst muss vorherbestimmt werden, welche Fragen durch die Exekutive mittels Rechtsverordnung geregelt werden sollen, welche Grenzen einer solchen Regelung gesetzt sind und welches Ziel mit der Regelung verfolgt wird. Die in § 32 IfSG in der vor dem 23.04.2021 geltenden Fassung an die Landesregierungen adressierende Verordnungsermächtigung dürften unzureichend gewesen sein. § 32 S. 1 IfSG in der vor dem 23.04.2021 geltenden Fassung lautete:
„Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.“
Verstoß gegen rechtsstaatliche Bestimmtheit per Generalklausel
Und in § 28 IfSG in der vom 28.03.2020 bis 18.11.2020 gültigen Fassung wurde bestimmt, dass die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen treffen darf, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Eine Ermächtigung, die wie eine Generalklausel hier: „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ausgestaltet ist, kann dem Erfordernis hinreichender rechtsstaatlicher Bestimmtheit nicht genügen.
Außerdem muss die von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird: Je erheblicher die Ermächtigungsnorm in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Schon aus der Ermächtigung muss daher erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.
Die für den Erlass der Corona-Verordnungen in § 32 IfSG vorgesehene Verordnungsermächtigung erfüllten wohl weder die Anforderungen der „Programmformel“ noch der „Vorhersehbarkeitsformel“. Während der Zweck und gerade noch der Inhalt – zumindest in seinen groben Umrissen – möglicher landesrechtlicher Rechtsverordnungen zur Infektionsabwehr sich noch aus der Zusammenschau von § 32 IfSG und den in dessen Satz 1 in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 28 bis 31 IfSG bestimmen ließ, war das Ausmaß etwaiger Verordnungsregelungen nicht mehr hinreichend bestimmt vorgegeben. So lässt § 32 Satz 1 IfSG als Zweck noch erkennen, dass das Ziel die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, und auch die möglichen Inhalte – nämlich die Normierung von solchen Geboten und Verboten, die auch als Einzelmaßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG zulässig wären – können im Rahmen einer systematischen Normzusammenschau gerade noch ermittelt werden. Eine inhaltliche Vorgabe im Einzelnen, bis zu welchem Grad die gegenständlichen Freiheitsrechte beschränkt werden dürfen, enthalten die Vorschriften nicht.
Drittes „Bevölkerungsschutz“gesetz
Nachfolgend und auch im Hinblick auf die vielfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken trat das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und Gesetzgebung während der Pandemie in Kraft. Im Rahmen dessen wurde der § 28 a III IfSG eingeführt. § 28 a III 1 IfSG sah eine Ausrichtung der Infektionsschutzmaßnahmen an Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems vor. Was die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems ausmacht und wann mithin seine Überforderung droht, blieb in den Gesetzes- und Verordnungsbegründungen allerdings offen.
Viertes „Bevölkerungsschutz“gesetz
Wieder später, am 34.04.2021 trat das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und Gesetzgebung während der Pandemie in Kraft (die sog. Bundesnotbremse). Über die im Zusammenhang damit erhobenen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht ist noch nicht endgültig entschieden.
Abschließend möchte ich darauf verweisen, dass der Geltungsanspruch der Verfassung lebt davon, dass er auch tatsächlich beachtet wird. Nehmen wir den Geltungsbereich der Verfassung nicht ernst, schaffen wir Präjudizien für andere, die Rechtsstaatlichkeit und Freiheit als politische Hemmnisse begreifen und abschaffen wollen – erst in der Ausnahme und dann in der Normalität. Und die politischen Verhältnisse können sich ändern – gerade in oder nach einem Ausnahmezustand.
Karin aus Heidelberg
Mitglied bei Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA)