Freiheit der Meinung. Warum Plattformen missfallende Inhalte nicht löschen dürfen.

Gemäß Art. 5 Abs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Teil des einheitlichen Grundrechts der Meinungsfreiheit sind die Meinungsbildungsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit und die Meinungsverbreitungsfreiheit.

Freiheit der Meinungsbildung

Die Meinungsbildung ist Voraussetzung der Meinungsäußerungs- und Meinungsverbreitungsfreiheit, und Meinungsbildung wiederum ist an Information gebunden. Um einen Sachverhalt richtig einschätzen zu können, bedarf es der Fähigkeit, selbstbestimmt Informationen/Nachrichten zu finden, zu erkennen, zu analysieren, Medien und Quellen einordnen sowie die Informationen auf ihre Relevanz und ihren Wahrheitsgehalt hin bewerten zu können. Meinungsbildungskompetenz basiert auf der Informationskompetenz und erfordert zudem die Fähigkeit des Zuhörens sowie die diskursive Auseinandersetzung mit den Meinungen anderer.

Deshalb drängt sich die Frage auf, welches Verständnis der Präsidenten des Robert-Koch-Institus, Herrn Wieler, von dem Recht auf Meinungsfreiheit hat, wenn er anlässlich einer Presskonferenz am 28.07.2020 äußerte, dass die AHA- Regeln nie hinterfragt werden dürften.

Freiheit der Meinungsäußerungs und Meinungsverbreitung

Unter dem Äußern einer Meinung ist die selbstbestimmte Kundgabe einer Meinung an die Außenwelt zu verstehen. Die Äußerung ist Voraussetzung der Verbreitung einer Meinung. Erst die Verbreitung einer Äußerung kann die intendierte Wirkung auch erzielen helfen und der besonderen Funktion der Meinungsfreiheit in der Demokratie – „die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen“ – zum Durchbruch verhelfen.

Kritik am Staat oder am staatlichen Handeln gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit.

In einer Zeit, in der Grundrechte seit rund 2 Jahren eingeschränkt sind, in der gesunden Menschen die soziale Teilhabe versagt wird, weil sie sich nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen, in einer Zeit, in der Menschen aufgrund von Berufsausübungsverboten ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben, und in der die im Gesundheitswesen tätigen Personen befürchten müssen, entlassen zu werden – und zwar genau dieselben Personen, denen man noch vor einiger Zeit durch Applaus von Balkonen Respekt gezollt hat, weil sie in schwierigen Zeiten dazu beigetragen haben, dass kranke Menschen versorgt, gepflegt und geheilt werden konnten – genau in einer solchen Zeit ist Kritik, die die Philosophin Anne-Barb Hertkorn als „eine Grundfunktion der denkenden Vernunft“  bezeichnete, dh. die prüfende Beurteilung der Maßnahmen zur Eindämmung  des coronabedingten Infektionsgeschehens geboten, um ein Umdenken in der Politik zu erreichen.

Eingriff in die Meinungsfreiheit

Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegt vor, wenn ein durch den Gehalt des Schutzbereichs umfasstes Verhalten durch staatliche Maßnahmen unterbunden, verhindert oder wesentlich erschwert wird.

Das möchte ich anhand von Beispielsfällen schildern:

Die Meinungsfreiheit wäre tangiert, wenn nachteilige Rechtsfolgen an die Äußerung oder Verbreitung einer Meinung geknüpft würden, etwa wenn der sich Äußernde für seine Äußerung bestraft würde.

So führte im Mittelalter das Aufkommen neuer wissenschaftlicher Ideen zu einer harten Konfrontation mit dem kirchlichen Dogma. Der Universalgelehrte Galileo Galilei, der das kopernikanische Weltbild, nämlich dass sich die Erde um die Sonne dreht, verteidigte, musste sich als rückfälliger Ketzer zweimal vor der Inquisition verantworten und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, die später in Hausarrest abgemildert wurde. Noch schlimmer erging es Giordano Bruno. Der ehemalige Dominikanermönch wurde öffentlich verbrannt, weil er u.a. behauptete, das Universum sei unendlich.

Diese Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass die Politiker gut beraten wäre, wenn sie sich auch mit solchen wissenschaftlichen Studien auseinander würde, die keinen Zusammenhang zwischen den Infektionszahlen und der Impfquote festgestellt haben, so eine Havard-Studie, die am 30.09.2021 im European Journal of Epidemiology veröffentlicht wurde. Berücksichtigungswert erscheint mir auch der Bericht der amerikanischen Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) vom 06.08.2021, die Veröffentlichung der englischen Gesundheitsbehörde Public Health England im PHE Technical Briefing 20 vom 06.08.2021, und eine am 10.08.2021 im Preprint im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte Studie wonach die Viruslast bei Geimpften ähnlich hoch ist wie bei Ungeimpften.

Nachschlag: Die katholische Kirche rehabilitierte den Universalgelehrte Galileo Galilei im Jahr 1992, während der Papst Johannes Paul II. erst am 12. März 2000 erklärte, das die Hinrichtung des Giordano Bruno nunmehr auch aus kirchlicher Sicht als Unrecht zu betrachten sei.

Ein Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit läge aber auch vor, wenn die Verbreitung einer bestimmten Meinung überhaupt unterbunden würde.

Als bekannt wurde, dass Bürgerrechtler der DDR im Vorfeld der Friedlichen Revolution gedruckte Flugblätter und Zeitungen in kirchlichen Räumen produzierten, startete die Stasi am 24. November 1987 eine Razzia in den Räumen der Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde. Mitglieder der aktiven Gruppe wurden verhaftet, die Druckmaschine beschlagnahmt.

Abschreckungs- und Einschüchterungseffekte

Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit kann aber auch in Form von faktischem staatlichen Handeln erfolgen. Wer beispielsweise damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und ihm dadurch Nachteile entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung der Versammlungsfreiheit oder anderer Grundrechte verzichten. Eine solche Abschreckungs- oder Einschüchterungswirkung wird als „chilling effect” bezeichnet. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG liegt aber nur dann vor, wenn die faktische Maßnahme in ihren Auswirkungen einem Eingriff in Form eines Rechtsakts gleichkommt.

Auch das möchte ich anhand eines Beispiels erörtern:

Da Demonstrationen insbesondere der kollektiven öffentlichen Meinungsäußerung dienen und Versammlungen nach § 15 VersammlungsG von Auflagen abhängig gemacht werden können, besteht die Möglichkeit, dass die Anordnung einer Auflage einen Eingriff in die Versammlungs- und die damit eng verbundene Meinungsfreiheit darstellt. So hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 16.12.2021 festgestellt, dass die getroffene Anordnung der Stadt Heidelberg im Rahmen einer angemeldeten Demonstration gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens, wonach beim Einsatz von Lautsprechereinrichtungen eine Lautstärke von 70 dB(A), gemessen in einem Meter von der Geräuschquelle, einzuhalten ist, einen Grundrechtseingriff darstellt und nicht rechtmäßig ist. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung lasse befürchten, dass die geplanten Rede- und Musikbeiträge bei einer Verstärkung mit der grundsätzlich erlaubten Laustärke von 70 dB(A) noch nicht einmal für die Versammlungsteilnehmer zuverlässig verständlich seien. Dies sei jedoch ein berechtigtes Kernanliegen des Versammlungsleiters, da es für einen funktionierenden Ablauf und die Zweckerreichung einer Versammlung essentiell sei, dass zumindest die Versammlungsteilnehmer erreicht würden.

Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 GG aber auch dann vor, wenn dieser nicht durch staatliche Maßnahmen, sondern durch Dritte erfolgt. Grundsätzlich gilt, dass Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind. Grundrechte verpflichten Private unmittelbar untereinander grundsätzlich nicht.

Wie verhält es sich aber, wenn Netzwerkbetreiber z.B. einzelne Videos löschen oder gar das gesamte Nutzerkonto?

Soziale Netzwerke schaffen im digitalen Raum öffentliche Kommunikationsforen. Mit der Zugangskontrolle und der vertraglichen Ausgestaltung ihrer Leistung entscheiden sie in erheblichem Maße über die soziale Teilhabe des Vertragspartners oder dessen Teilnahme an der gesellschaftlichen und politischen Kommunikation.

Dürfen Plattformen rechtskonforme Inhalte die missfallen löschen?

In der Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass Netzwerkbetreiber rechtswidrige Inhalte löschen dürfen und müssen. Aber dürfen sie auch nicht rechtswidrige Inhalte, die ihren missfallen oder ihrer politischen Überzeugung zuwiderlaufen, löschen?

In der Rechtwissenschaft anerkannt, dass Grundrechte auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung entfalten. Man spricht von mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte.

In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass große soziale Netzwerke ihre strukturelle Überlegenheit nicht ausnutzen dürfen, sie werden in ihrer Gestaltungsmacht durch die gesteigerte Grundrechtsbindung beschränkt, insbesondere durch die Meinungsfreiheit und das Gleichbehandlungsgebot. Netzwerkbetreiber dürfen ihre Eigeninteressen nicht uneingeschränkt durchsetzen, sondern müssen die Interessen der einzelnen Nutzer auf freie Meinungsäußerung sowie die Interessen der Allgemeinheit an einer meinungsäußerungsfördernden, „von gegenseitigem Respekt geprägten Diskussionskultur“ berücksichtigen.

Ohne das Institut der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten bestünde die Gefahr, dass Netzwerkbetreiber unkontrolliert Einfluss nehmen könnten auf die öffentliche Meinung, also die in einer Gesellschaft vorherrschende Meinung zu bestimmten Sachverhalten. Da die meisten Menschen Isolation fürchten, beobachten sie aufmerksam ihre Umwelt und registrieren aus dem Verhalten ihrer Mitmenschen, welche Meinungen oder Verhaltensweisen auf Zustimmung stoßen oder zumindest geduldet werden. Wer feststellt, dass er mit seiner Meinung auf Ablehnung stößt, wird sich, mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten; wer sich dagegen bestätigt fühlt, wird sich frei und ohne Furcht äußern. Die öffentliche Meinung ist damit auch ein Instrument der sozialen Kontrolle, die auf den Einzelnen Druck ausübt, sich ihr anzupassen; ein Vorgang, der sich gerade in Corona- Zeiten beobachten lässt.

Dem Kontroll- und Konformitätsdruck sollten die Kritiker der Corona- Schutzmaßnahmen nicht nachgeben, auch wenn sie von Politikern zu Unrecht herabgewürdigt werden, denn respektvoll geäußerte Kritik – um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts zu sagen ist –  gehört zu den vornehmsten Menschenrechten überhaupt.

Karin

aus Heidelberg ist Vorsitzende Richterin an einem Landgericht

schreibt hier als Privatperson und Mitglied des Netzwerkes Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiSta)

Bildquelle Titelbild von Flickr, .hd., Lizenz ebendort.

3 Gedanken zu „Freiheit der Meinung. Warum Plattformen missfallende Inhalte nicht löschen dürfen.

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  2. Danke für diese Ausführungen. Man findet ja immer wieder (und heute gezielt gefördert und verbreitet) den Glauben, dass es Instanzen gäbe, die die absoluten Wahrheiten für sich gepachtet hätten. Heute ist es dieser Lollipopp-Spruch „follow the science“. Billig, schreiend, dumm und Kühlschrank-Anheft-Magnet-tauglich.

    Früher war die Kirche das Zentrum der Wahrheit. Von der Prediger-Kanzel herab wurde verkündet, was ist, was gilt und was zählt.

    Heute, dem Ungeist zeitgemäß, wird diese Autorität auf eine angeblich wahrheitsfindende Wissenschaft verlagert. Wahr sei, was 100.000 Wissenschaftler angeblich vertreten würden – und falsch sei, was ein einziger Wissenschaftler dagegen sagen würde. Scheint so, wie wenn das demokratische Prinzip eingeführt worden sei. Aber das täuscht – wie Demokratie ohne freie Information überhaupt täuscht.

    Die angeblich 100.000 Wissenschaftler sind nämlich, wie damals zu Zeiten Galileis, nur eine laute, dominante Minderheit, die aufgrund von Stellung und Unterstützung ihre Sicht der Dinge als absolut und unhinterfragbar darstellen können.

    Was wahr ist entschiedet nicht eine vermeintliche oder echte Mehrheit, sondern die Realität. Das ist das eine.

    Das andere ist, dass eine Willensbildung natürlich aufgrund von Mehrheiten erfolgt, am besten aufgrund von Konsens, aber dass zu so einer demokratischen Willensbildung (also nicht die Frage „Wie ist etwas?“ sondern die Frage „Was wollen wir tun?“) nur wirklich demokratisch ist, wenn die Meinungsbildung aufgrund von Informationen erfolgt, die nicht gelenkt, nicht eindimensional, nicht interessengesteuert ist.

    Wir haben das Problem, dass die Antwort auf die Frage „Wie ist es?“ von fremden Interessen gelenkt wird (man denke als Beispiel an Studien, die früher die Harmlosigkeit des Rauchens bewiesen haben, oder man denke an die Studien, die die Harmlosigkeit des Contergan beweisen haben, …) und die Frage „Was sollen wir tun?“ durch eine manipulierte Willensbildung (zB indem nur zwei Alternativen vorgegeben werden – nur die sinnvollste Lösung wird gar nicht angeboten, oder man verknüpft etwas Sinnvolles mit Unsinn zu einem dadurch unablehnbaren Paket – weil sonst ja auch das Sinnvolle abgelehnt würde) fehlgeleitet wird.

    Alles geht mE auf eine einzige Fehlentwicklung zurück: die Einfluss- und Eigentümer-Strukturen der monopolistischen Groß-, Altparteien-, Milliardärs- und Konzern-Medien, die nur noch in dem Sinne Themen setzen, berichten und bewerten, wie es im Sinne einer geldscheffelnden Global-Elite nützlich scheint.

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